16.07.2022- 23.07.2022
Bericht: Max Oswald, Lisa Hoffmann, Höhlenrettung Sachsen
Auf Einladung der französischen Höhlenrettung “Speleo Secours Francais” (SSF) trafen sich Mitte Juli in La Féclaz im Departement Savoie 17 Höhlenretter aus ganz Europa zu einem gemeinsamen Training. Der Kurs „Chef d’Equipe“ richtet sich an Höhlenretter, die in der Funktion des Teamleiters eingesetzt werden sollen und wird im zweijährigen Rhythmus von SSF als internationale Version angeboten. Neben vier Instruktoren aus Frankreich, der Ukraine und Chile kamen die Teilnehmer des diesjährigen Kurses aus Tschechien, Bulgarien, der Schweiz, der Ukraine und Deutschland.
Wir treffen uns in La Féclaz, einem kleinen Wintersportort oberhalb des Lac de Bourget und beziehen unser Quartier. Zunächst wird eine Inventur des Materials durchgeführt, welches in zwölf großen Metallkisten sortiert war. Wir zählten unter anderem 580 Karabiner und 360 Plaketten. Am Einführungstag widmeten wir uns der Materialkunde und dem Verankerungsbau. Als Übungsstelle wurde der Eingangsbereich der Porche Eaux Mortes genutzt, was bei den hochsommerlichen Temperaturen eine sehr gute Idee darstellte. Zur Überraschung aller Teilnehmer wurde die ausschließliche Verwendung von Spits in der SSF erläutert. Schwerlastanker finden keine Anwendung, da diese durch fehlenden Formschluss zum Fels anfällig für Schwingbelastung sind, was zum Lösen der Spreizverbindung führen kann. Ein Zugversuch an einem, in gerissenem, daher schlechtem Fels gesetzten Spit sollte die Festigkeit demonstrieren. Obwohl die Schraube nur zur Hälfte eingeschraubt wurde, trat erst bei 11 kN ein Bruch auf. Dabei brach nicht der Fels, sondern das Innengewinde des Spits. Die Tests der SSF haben gezeigt, dass Spits in ihrer Zugfestigkeit stark streuen. Zwischen 2 kN und 12 kN ist alles möglich. Fixpunkte werden daher immer mit drei Spits und einer Ausgleichsverankerung aus 10 mm Halbstatikseil gebaut.
Jedem Departement der SSF steht ein Materialpool zur Verfügung. Zusätzlich gibt es zwei nationale Übungspools, auf die auch bei größeren Einsätzen zurückgegriffen werden kann. Die Materialpools enthalten standardisiert alle denselben Inhalt, so auch der von uns verwendete Übungspool. Neben den 360 gebogenen-, gewinkelten- und Ringlaschen, beinhaltet der Pool auch rund 10 Einbausets mit Spits, Spitsetzer und Hammer, sowie 3 Bohrmaschinen. Zum Bau von Ausgleichsverankerungen stehen eine große Anzahl an 10 mm Seilstücken (Typ A), 8 mm Seilstücken (Typ L), 5,5 mm Dyneemaschnüren und offenen Mischgewebe-Bandschlingen zur Verfügung. Für die hauptlasttragenden Rettungssysteme werden die 10 mm Seilstücken verwendet. Dyneemamaterial und Bandschlingen gelten als Verbrauchsmaterial und werden nur redundant oder als Verankerung für Seilumlenkungen mit sehr geringem Umlenkwinkel (< 15°) verwendet. Die offenen Schlingen erlauben eine bedeutend größere Flexibilität als fest vernähtes Material. Es ist allerdings eine gewisse Sorgfalt beim Knüpfen der Knoten (Achter- oder Sackstich in Tropfenform) erforderlich, was bei der SSF nach klar vorgegebenen Regeln zu erfolgen hat.
Für die meisten Anwendungen werden D-Karabiner mit Schraubverschluss genutzt. Nur die Verbindung zwischen Trage und Zugseil wird ausschließlich mit 3-Wege-Verschluss-Klettersteigkarabinern hergestellt. Hintergrund ist die hohe Kantenbiegefestigkeit dieser. Die vorhandenen Ovalkarabiner werden verwendet, wenn ein HMS-Knoten benutzt wird, z. B. um die Trage abzulassen oder ablassbare Umlenkungen und Tragseile von Seilbahnen aufzubauen. Im Materialpool befinden sich außerdem verschiedene Rollen, Steigklemmen, Abseilgeräte und Petzl Protraxions, die zum Bau von Flaschenzügen und Rücklaufsperren verwendet werden. Zur Gewichtsersparnis werden nur für den Tragentransport und Aufbau der Rettungssysteme 10 mm Seile (Typ A) verwendet. Für die Fortbewegung der Retter mit Einseiltechnik kommen 9 mm Seile (Typ B) zum Einsatz. Um Verwechslungen auszuschließen wird das Zugseil der Trage immer mit einem Achterknoten in Tropfenform und einem Spierenstich im Seilende zur Markierung versehen.
Als Rettungstrage wird von der SSF die Petzl Nest genutzt. Das aktuelle Modell der Trage verfügt über ein paar kleine Neuerungen, wie zusätzliche kurze Schlaufen, die sich gut zum Anheben der Trage auf eine Seilbahn eignen und über neue Verschlussschnallen der Begurtung.
An zwei weiteren Tagen wurden verschiedene Standard-Seiltechniken der SSF im Eingangsbereich der Porche Eaux Mortes geübt. Besonderer Fokus lag auf der Anwendung der Gegengewichtsmethode zum Tragentransport da diese am häufigsten zur Anwendung kommt und auch für schräge Transportstrecken gut geeignet ist. Besonders die Übergabe der Trage von einem Gegengewichtsystem auf das nächste wurde intensiv geübt. Auf einen redundanten Rettungsaufbau und ein separates Sicherungssystem wird in der Regel verzichtet. Weitere Methoden umfassten den Aufbau ablassbarer Seilumlenkungen, den effizienten Aufbau von Flaschenzügen, das Spannen von Seilbahnen und den zügigen Transport einer Trage entlang einer oder mehrerer Seilbahnen. Durch die Nutzung von zwei Kraftmessdosen wurde gleichzeitig gezeigt, welche Kräfte in den Systemen wirken. Je nach verwendeter Rücklaufsperre, HMS+Wasserklang, Simple+Basic oder Stop, wurden bis zu 2 kN, in Spitzen bis 5 kN auf das gespannte Tragseil aufgebracht. Ein halber Tag wurde auch der behelfsmäßigen Rettung gewidmet, wobei verschiedene Varianten der Kameradenhilfe beim Aufstieg nach oben und der Rettung nach unten und aus Traversen geübt wurden.
Oberste Prämisse war es, material- und personalsparsame Aufbauten zu nutzen. Im Fall des Transports einer Trage von einer Seilbahn auf die nächste heißt das, die Trage soll nicht einfach durch viel Muskelkraft „umgehoben“ werden. Die Lösung dafür ist denkbar einfach. Nach der Ankunft der Trage am Ende der ersten Seilbahn, wird das noch nicht gespannte Tragseil der zweiten Seilbahn mittels Roll-Clip Karabinern in die Trage eingehängt. Nun wird die erste Seilbahn langsam entspannt und die zweite Seilbahn langsam gespannt. Einziger Haken: Damit sich die Karabiner nicht verdrehen muss vorher gut über die Einbaurichtung nachgedacht werden.
Nach den täglichen, praktischen Übungseinheiten ging es am Abend vor dem Abendessen noch weiter mit Theoriethemen und der Vorbereitung des nächsten Tages. Es gab zum Beispiel interessante Informationen über die Kommunikationssysteme, die wir auch praktisch testen konnten. Die SSF nutzt zur Kommunikation klassische VHF Funkgeräte, Zweidraht-Wechselsprechgeräte und das „Erdfunk“ System Nicola II/ Pimprenelle. Eindrucksvoll ist, dass alle Systeme voll miteinander gekoppelt werden können und ohne „menschliches Relais“ auskommen. Das Material zur Patientenversorgung wurde gezeigt und die Organisationsstrukturen der SSF wurden uns vorgestellt. Es wurden außerdem die Aufgaben des Teamleiters und der Retter herausgearbeitet.
In den nächsten Tagen wurden Übungen in den Höhlen Gouffre Malitou, Grotte de Prérouge und Trou de Garde durchgeführt. In einem Briefing am Morgen wurde jeweils das Einsatzszenario und die Höhle vorgestellt. Die Strecke vom Patient bis zur Oberfläche wurde in Abschnitte geteilt und ein Teamleiter für jeden Abschnitt bestimmt. Dieser hatte die Aufgabe sein Team zusammenzustellen, einen Plan zur Überwindung der vermuteten Hindernisse im Abschnitt zu entwickeln und das dafür benötigte Material zu packen. Die Teamleiter sprachen sich untereinander ab, sodass die Übergabe des Patienten von einem Abschnitt zum nächsten reibungslos funktionieren sollte. Natürlich gab es dabei Sprachbarrieren und unterschiedliche Vorstellungen. Übliche Probleme die in realen Einsätzen auch immer wieder auftreten. Die Kommunikation in der Höhle wurde mit einer Kombination aus drahtgebundenen Wechselsprechanlagen und drahtloser Kommunikation (TPS) mit dem System Nicola II/ Pimprenelle hergestellt. In der Grotte de Prérouge lag der Fokus auf dem Tragentransport in einer Horizontalhöhle, auf der Patientenbetreuung und dem Aufbau eines Wärmezeltes.
Die Abschlussübung im Trou du Garde erforderte die zuvor geübten Techniken koordiniert umzusetzen um die Patientin über mehrere Schächte und enge Mäander nach draußen zu befördern. Besonders der Personal- und Materialeinsatz musste gut überlegt sein. Nach insgesamt rund acht anstrengenden Stunden Transportzeit konnten sich die Patientin und ebenso die Retter über Tageslicht freuen.
Die intensive Woche endete mit einem fröhlichen Abschlussabend bei mitgebrachten landestypischen Spezialitäten. Es wurden Kontaktdaten ausgetauscht und Einladungen ausgesprochen. Wir waren überrascht zu erfahren, dass wir die ersten Teilnehmer aus Deutschland waren.
Aus unserer Sicht ist das Training sehr empfehlenswert für alle, die gerne internationale Kontakte knüpfen, die Methoden der französischen Höhlenrettung kennenlernen und etwas neuen Input mit nach Hause nehmen möchten. Wir bedanken uns bei Valerie und Rémy, die uns alle in der Woche mit Frühstück, Lunchpaketen, Apero und Abendessen versorgt haben. Ganz besonderer Dank gilt natürlich den Kursleitern und französischen Höhlenrettern, Bernard, Natalia, Katya, Sylvain, Laurant, Didier, Leticia und Dorotea, die den Kurs so toll mit Leben gefüllt haben. Wir bedanken uns außerdem bei der Landesleitung der Bergwacht Sachsen und dem DRK Landesverband Sachsen der unsere Teilnahme nicht nur gut fand, sondern auch finanziell unterstützt hat, sowie Nils Bräunig für die freundliche Empfehlung.